«Vögel sind wichtige Indikatoren für den Zustand unserer Umwelt»

    Seit bald 40 Jahren setzt sich BirdLife Aargau für die Natur im Aargau ein. Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Naturschutzvereins ist das Naturzentrum am Klingnauer Stausee – ein Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Gertrud Hartmeier, Präsidentin BirdLife Aargau über geeignete Lebensräume für Vögel, den Druck auf die Natur sowie Naturerlebnisse für den Nachwuchs.

    (Bilder: Petra Zajec)
    Das BirdLife-Naturzentrum Klingnauer Stausee ist die Anlaufstelle für Fragen und Informationen rund um den Klingnauer Stausee.

    BirdLife Aargau hat schon zahlreiche Erfolge errungen. Was würden Sie als Highlights bezeichnen?
    Gertrud Hartmeier: BirdLife Aargau setzt sich seit Beginn aktiv für die Natur im Aargau ein. Dies sind die Highlights unserer Erfolge:

    • 1986 lancierte BirdLife Aargau eine kantonale Initiative, welche das kantonale Dekret zum Schutze des Klingnauer Stausees erwirkte. Heute ist das Vogelschutzreservat von internationaler Bedeutung auch durch die Wasser- und Zugvogelreservatsverordnung WZVV des Bundes geschützt.
    • BirdLife Aargau lancierte gemeinsam mit den Aargauer Umweltverbände die kantonale Volksinitiative «Auenschutzpark – für eine bedrohte Lebensgemeinschaft». Dies führte zur Schaffung des Auenschutzparkes. Die ganze Bevölkerung profitiert heute von den schönen Auenwäldern im Aargau.
    • 2015 konnte BirdLife Aargau zusammen mit der Naturwerkstatt Eriwis unser grösstes Reservat Eriwis mit 13.5 Hektaren kaufen. In der ehemaligen Opalinustongrube hat nach der Einstellung des Tonabbaus die Natur das Gelände wieder zurückerobert. Verschiedenste Lebensräume und eine reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt konnten sich ansiedeln.
    • 2019 wurde ein langersehnter Wunsch wahr, das BirdLife-Naturzentrum am Klingnauer Stausee konnte eröffnet werden. Das Naturzentrum ist die Anlaufstelle für Fragen und Informationen rund um den Klingnauer Stausee.

    Bei der Gründung hatten Sie rund 20’000 Mitglieder. Wie haben sich die Mitgliederzahlen entwickelt?
    Unsere Mitgliederzahlen sind tendenziell am Sinken. Der Verein als Organisationsstruktur ist in der heutigen Zeit stark unter Druck. Nachfolgerinnen und Nachfolger in die Vorstände zu finden wird zunehmend schwieriger. Trotzdem finden wir immer noch genügend Menschen, die sich ehrenamtlich für die Natur und unsere Vögel einsetzen.

    BirdLife Aargau setzt sich besonders für die Vogelwelt im Aargau ein. Wie geht es den Vögeln im Aargau?
    Die Resultate des Brutvogelatlas 2013–2016 der Schweizer Vogelwarte Sempach zeigen folgendes Bild:

    • Feuchtgebiete sind zwar auch heute noch Hotspots für viele seltene und bedrohte Brutvögel. Trotzdem bleiben ihre Bestände im historischen Vergleich tief, da ein grosser Teil ihrer Lebensräume in den letzten 200 Jahren zerstört wurde. Nötig wären wieder mehr grosse und nasse Feuchtgebiete.
    • Wälder sind die mit Abstand vogelreichsten Lebensräume. Der Brutvogelatlas zeigt, dass es vielen Waldvogelarten heute gut geht.
    • In den letzten 20 Jahren haben sich die bereits arg ausgedünnten Bestände der charakteristischen Landwirtschaftsvögel nochmals halbiert. Die trübe Bilanz ist der weiter voranschreitenden Intensivierung der Landwirtschaft geschuldet und stellt unserer Landwirtschaftspolitik ein schlechtes Zeugnis aus. Es gibt aber auch Lichtblicke, etwa die Zunahme von Greifvögeln.
    • Obwohl unsere Siedlungen in den letzten 20 Jahren stark gewachsen sind, konnten die Vögel davon nicht profitieren. Dennoch gibt es Arten wie, die sich erfolgreich angepasst, ja gar auf den Siedlungsraum spezialisiert haben. Damit die Vögel dort weiterhin bestehen können, braucht es jedoch mehr naturnahe Gärten.

    Welche Vogelarten sind besonders gefährdet?
    Insektenfressende Kulturlandarten wie z.B. Feldlerche, Gartenrotschwanz. Ganz generell Arten, die ihren Lebensraum und/oder ihre Nahrungsgrundlagen verlieren.

    (Bild: zVg) Gertrud Hartmeier, Präsidentin BirdLife Aargau: «Es braucht mehr Flächen für die Natur und die müssen von guter Qualität sein.»

    Seit 2019 betreibt BirdLife Aargau zusammen mit BirdLife Schweiz ein Naturzentrum am Klingnauer Stausee. Welche Idee steckt hinter dem Zentrum und wieso ist es einen Besuch wert?
    Der Klingnauer Stausee mit den umliegenden Auengebieten gehört zu den wichtigsten Feuchtgebieten der Schweiz und ist ein Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Unter Ornithologen ist der Klingnauer Stausee ein landesweit bekanntes Gebiet, wo auch seltene Vogelarten regelmässig beobachtet werden können. Über 300 Vogelarten wurden bereits nachgewiesen. Lange hegte BirdLife den Wunsch ein Naturzentrum am Klingnauer Stausee zu errichten. 2017 konnten BirdLife Aargau zusammen mit BirdLife Schweiz eine Liegenschaft direkt am Stausee und neben dem schon bestehenden Beobachtungsturm kaufen und zu einem attraktiven Naturzentrum umbauen.

    Das BirdLife-Naturzentrum Klingnauer Stausee ist die Anlaufstelle für Fragen und Informationen rund um den Klingnauer Stausee. Das Zentrum bietet eine moderne Ausstellung mit einem spannenden Erlebnispfad, eine Auswahl an themenspezifischen Führungen für Gruppen sowie Schulklassen und engagiert sich konkret im Naturschutz am Klingnauer Stausee. Im Zentrum erfahren Sie mehr über Entstehung und den Schutz des Sees, die vielseitigen Lebensräume einer Aue sowie die einzigartige Vielfalt von Flora und Fauna. Ein kleines Café und ein Schulungsraum runden das Angebot ab.

    Die Natur ist und bleibt unter Druck. Wo liegt der grösste Handlungsbedarf?
    Artensterben insbesondere der Rückgang der Insekten, Intensivierung der Landwirtschaft und der Verlust von Lebensräumen sind die grossen Problemfelder. Wir brauchen dringend mehr Feuchtflächen auch im Hinblick auf vermehrt trockene und heisse Sommer. Aber wir müssen auch die Naturräume im sich immer weiter ausdehnenden Siedlungsraum aufwerten und in die Vernetzung der Lebensräume mit einbeziehen.

    Wie haben Sie das Jahr 2021 erlebt und welche wichtigen Projekte standen auf der Agenda?
    Viele Anlässe konnten wegen der Pandemie nicht oder unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden. Das war eine grosse Herausforderung, aber trotzdem konnten wir unsere Kursangebote und das Artenförderungsprogramm für den Neuntöter in Zusammenarbeit mit dem Kanton, BirdLife Schweiz und den Sektionen durchführen.

    Sie möchten auch die Bevölkerung für einheimische Naturwerte sensibilisieren. Wie gelingt das?
    Wir haben eine attraktives Jahresprogramm mit Exkursionen und Vorträgen sowie ein vielfältiges Angebot an Kursen in Feldornithologie, Feldbotanik, Exkursionsleitung und Naturförderung in der Gemeinde. Auch unsere 120 Sektionen haben alle spannende Jahresprogramme mit Exkursionen, Vorträge und Arbeitseinsätzen. Unsere Webseite www.birdlife-ag.ch und unsere Verbandpublikation «Milan» informiert über die Aargauer Natur und unsere Projekte.

    Welchen Stellenwert hat der Schutz von Landschaft und Umwelt sowie die Erhaltung und Förderung einheimischer Vögel?
    Die Vögel brauchen geeignete Lebensräume. Vögel sind wichtige Indikatoren über den Zustand unserer Umwelt. So macht der Rückgang der insektenfressenden Kulturlandvögel den desolaten Zustand der Insektenpopulation sichtbar. BirdLife Aargau besitzt rund 40 Hektaren eigene Reservate, so werden diese wertvollen Biotope langfristig geschützt.

    Sind die Menschen dank der Pandemie wieder naturaffiner geworden?
    Die Menschen sind in dieser Zeit weniger ins Ausland gereist und haben vermehrt unsere einheimische Natur genossen. Der Druck auf die Umwelt hat dadurch zugenommen. Nicht alle nehmen auf die Natur Rücksicht, der viele Abfall in den Naherholungsgebieten ist nur ein Beispiel. Es braucht mehr Information und Aufsicht (Ranger) in den Naturhotspots.

    Sie bieten mit den Jungbirder auch eine kantonale Gruppe für Jugendliche ab 12 Jahren. Wie sehr setzen sich die jungen Menschen hier im Aargau mit der Natur und Umweltschutz auseinander – mal abgesehen von der Klimajungend?
    Es gibt nicht nur die kantonale Gruppe, sondern auch 15 Jugendgruppen in den Sektionen. Durch sie können wir vielen Kindern die Natur näherbringen. Bei den älteren stehen wir in grosser Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten. Erwachsene, die als Kind Naturerlebnisse genossen haben, werden das vermehrt ihren Kindern weitergeben und selbst wieder für die Natur aktiv werden.

    Was sind die grössten Herausforderungen in den nächsten Jahren für BirdLife Aargau?
    Erhalt und Förderung der Biodiversität sowie Etablierung einer funktionierenden Ökologischen Infrastruktur. Es braucht mehr Flächen für die Natur und die müssen von guter Qualität sein. Wir müssen eine Trendwende beim alarmierenden Rückgang der Insekten und den insektenfressenden Kulturlandvögel herbeiführen.

    Was wünschen Sie sich für die Zukunft bezüglich BirdLife Aargau?
    Ich wünsche mir weiterhin eine so gute Zusammenarbeit mit unserer Geschäftsstelle, dem Vorstand, unseren Sektionen, dem Kanton sowie allen engagierten Naturliebhaberinnen und Naturliebhabern. Ich wünsche mir auch, dass die Bevölkerung nicht nur im Aargau erkennt, wie wichtig unsere Umwelt für uns alle ist, und dass wir uns gemeinsam für ihren Erhalt und Verbesserung einsetzen.

    Interview: Corinne Remund

    www.birdlife-ag.ch


    BIRDLIFE AARGAU

    1983 schlossen sich die führenden Aargauer Naturschutzverbände der Verband Aargauischer Vogelschutzvereine VAV und der Aargauischen Natur- und Vogelschutzverband ANV zum VANV, dem Verband der Aargauischen Natur- und Vogelschutzvereine zusammen. Seit 2007 nennen wir uns BirdLife Aargau. BirdLife ist weltumspannend, d.h. in 120 Ländern tätig. Zu BirdLife Schweiz gehören über 67’000 Natur- und Vogelschützerinnen und -schützer in rund 440 lokalen Sektionen, 19 Kantonalverbänden. Im Aargau gibt es 120 lokale Natur- und Vogelschutzvereine.

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