«Verbrennen ist nicht negativ»

    Synthetische Treibstoffe 

    Wasserstoff könnte entscheidend werden für die klimaschonende Mobilität der Zukunft. Die «Umwelt Zeitung» hat sich mit dem international tätigen Berater Matthias Braun über das Potenzial dieser innovativen Technologie unterhalten.

    (Grafik: zVg) Synthetische Treibstoffe werden durch Elektrolyse aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Auf mehreren Kontinenten gibt es erste grosse Pionieranlagen. Auch die Schweiz mischt mit.

    Herr Braun, die Politik in den westeuropäischen Staaten setzt voll auf die Elektromobilität. Doch wie verbreitet sind batterieelektrische Autos wirklich? Und wie sieht es in anderen Weltgegenden aus? Bitte geben Sie uns einen zahlen- und faktenbasierten Überblick!
    Man muss die Dimensionen richtig einordnen. Weltweit gibt es rund 1,3 Milliarden Fahrzeuge. Im Jahr 2020 fuhren rund 6.85 Millionen mit Batterieantrieb. Das macht gut 0.5 Prozent. Dabei gibt es grosse Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Kontinenten. In Deutschland und in Europa beträgt der Anteil 0.6 Prozent. In den USA liegt er bei 0.9 Prozent. In Asien gibt es riesige Differenzen. In Indien sind batterieelektrische Autos praktisch inexistent, in China haben sie einen Anteil von 1,2 Prozent. Dann muss man auch sehen: Mittel- und Südamerika sowie Afrika sind weisse Flecken auf der Landkarte. Elektrofahrzeuge gibt es dort so gut wie nicht. Kurzum: Der hierzulande festzustellende Elektro-Boom ist global gesehen ein sehr beschränktes Phänomen. Verstärkt wird diese Feststellung dadurch, dass sich Weltgegenden wie der indische Subkontinent oder Afrika demografisch besonders rasant entwickeln, während das Bevölkerungswachstum in den westlichen Industriestaaten stagniert.

    Neben rein batteriebetriebenen Antriebssystemen gibt es andere zukunftsträchtige Technologien, allen voran die sogenannten E-Fuels, also die synthetischen Kraftstoffe, die aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden. Welches Potenzial sehen Sie in dieser Technologie?
    Ich sehe weltweit ein enormes Potenzial, das wir nützen sollten. Das zeigt nur schon der Bestand von weltweit über 1,3 Milliarden Verbrennungsmotoren und die wachsende Bevölkerung in Ländern ohne Elektro-Infrastruktur. Die Menge an Verbrennern wird in grossen Teilen der Welt nicht sinken, sondern im Gegenteil stark zunehmen. Nach unseren Prognosen ist das ein Milliardenmarkt. Davon könnten auch der deutsche und der europäische Markt profitieren. Das Autoland Deutschland könnte zum Knowhow-Exporteur werden, mit seinen Raffinerien synthetische Kraftstoffe veredeln und seine Zulieferindustrie stützen. 

    Sie setzen bei Saudi Aramco grosse Anstrengungen in die Entwicklung von E-Fuels. Wie sehen ihre Pläne aus? Und ab wann werden wasserstoffbetriebene Fahrzeuge Alltag sein?
    Aramco investiert stark in die Entwicklung dieser zukunftsträchtigen Technologie. Denn Verbrennen ist nicht negativ. Es kommt darauf an, was verbrannt wird! Stand heute, rechnen wir mit einer grossindustriellen Produktion bis 2040. Die Marktchancen des Wasserstoffs werden sich zusätzlich verbessern, wenn es zu Problemen bei der Besorgung von Lithium für die batteriebetriebenen Fahrzeuge kommt oder wenn die Bestrebungen fortdauern, die internationale Abhängigkeit von China in Sachen Rohstoffe und Weiterverarbeitung zu reduzieren. Neben dem Strassenverkehr könnten synthetische Kraftstoffe vermehrt auch in der See- und Luftfahrt eingesetzt werden. Nach unseren Einschätzungen könnte die E-Fuel-Produktion bis ins Jahr 2050 den weltweiten Bedarf decken. 

    Sie betreiben zwei grosse Pilotprojekte mit Wasserstoff. Wo befinden sich diese? Und welche anderen ähnlichen Initiativen gibt es auf der Welt?
    Wir betreiben selbst eine Anlage in Saudiarabien und gemeinsam mit Repsol eine andere in Spanien. Auch sonst sind erste Branchengrössen und Investoren bereit für den Aufbau der Produktion in Australien, Süd- und Nordamerika. Porsche und Siemens Energy beispielsweise haben ein Werk in Chile errichtet. China wird sicherlich auch aktiv werden, denn die Chinesen wollen in jeder Technologie Weltmarktführer sein. Zu rechnen ist mit grossen Spielern und Anbietern mit einem Komplett-System: mit Elektrolyse, einem Tankstellen-Netz usw. Auch die Schweiz ist mit dem Förderverein H2-Mobilität ganz vorne in dieser Entwicklung dabei. Wo wir selbst in Zukunft produzieren werden, ist noch offen. Asien hat ein starkes Interesse angemeldet. 

    Wie werden sich die synthetischen Treibstoffe auf das Portemonnaie der Konsumentinnen und Konsumenten auswirken? Wird die Mobilität teurer werden?
    Die Mobilität wird generell teurer werden. Wir gehen bei den E-Fuels aber von Herstellungskosten von rund 70 bis 80 Rappen pro Liter aus. Entscheidend für den Endpreis wird sein, wie viel der Staat an Steuern draufschlägt. 

    Sie engagieren sich mit Aramco auch bei der nachhaltigen Entwicklung des Motorsports und sind Partner der Formel 1, die bis 2030 CO2-neutral werden will. Was trägt der Motorsport generell zur Entwicklung nachhaltiger und effizienter Technologien bei?
    Die Formel geht als Innovator voran. Ab 2026 werden E-Fuels eingeführt. Weiter gibt es Bestrebungen, das ganze Formel-1-System klimaneutral aufzubauen. Rennstrecken wie der Nürburgring verfolgen dieselbe Absicht. Die Formel 1 kann mithelfen, weltweit ein Bewusstsein für diese neuen, umweltschonenden Technologien zu fördern. Gleichzeitig profitieren wir alle von der im Motorsport entwickelten Spitzentechnologie. Kein Motor ist beispielsweise effizienter als derjenige, der in der Königsklasse des Motorsports eingesetzt wird. Ähnliche Bestrebungen gibt es übrigens auch in der Schweiz bei Bergrennen. Auch Motorrad-Meisterschaften wollen ebenfalls auf synthetische Kraftstoffe umstellen. 

    Während weltweit grosse Hoffnungen in synthetische Kraftstoffe gesetzt werden, will die EU ab 2035 Verbrennungsmotoren verbieten. Was bedeutet dieses Technologieverbot für die Entwicklung einer zukunftsträchtigen und umweltschonenden Mobilität, insbesondere für die E-Fuels?
    Technologieverbote sind nie gut. Es kann kontraproduktiv sein, wenn in die Entwicklung von Wissenschaft und Wirtschaft eingegriffen wird. Es gibt Signale, dass die EU für die synthetischen Kraftstoffe eine Ausnahme macht und zunächst die mögliche Entwicklung und Umsetzung verfolgt. Man sollte das grossartige Potenzial der E-Fuels für eine, bewusst betont, weltweit klimaneutrale Mobilität der Zukunft nicht zerstören.

    Dr. Philipp Gut


    Zur Person: 

    Matthias Braun ist u.a. Berater am Aramco Fuel Research Center in Paris. 

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